Und doch war dieses weltliche Oratorium, das am Sonntag vom Oratorienchor im Kilians-Dom aufgeführt wurde, sowohl in der Kirche als auch am Totensonntag genau am richtigen Platz. Denn aus den mächtigen Hymnen auf die erwachende Natur, die majestätische Sonne oder den Fleiß der Landarbeiter wird am Ende ein ebenso mächtiger Abgesang auf die Vergänglichkeit des Lebens. "Der Erde Bild ist nun ein Grab" heißt es da, und bezogen auf den Lebenslauf des Menschen: "Verblühet ist dein kurzer Lenz, erschöpfet deines Sommers Kraft, schon welkt dein Herbst dem Alter zu, schon naht der bleiche Winter sich und zeiget dir das offne Grab."
Hier schlägt Haydn am Ende dieses gewaltigen Werkes die Brücke zu Glaube und Gott, verweist auf das Leben nach dem Tod, wo "ein ew´ger Frühling herrscht" und schließt mit einem prachtvollen Finale wie in einem Gebet mit "Dann gehen wir ein in deines Reiches Herrlichkeit. Amen." Für die Besucher im vollbesetzten Kilians-Dom hätte es wohl kaum ein erhebenderes Konzert zum Totensonntag geben können. Minutenlang bedankten sie sich mit donnerndem Applaus und stehenden Ovationen bei den Sängern und Musikern für dieses eindrucksvolle Erlebnis.
Und das zu Recht, denn die Ausführenden boten eine rundum blendende, überaus konzentrierte und niemals ermüdende Leistung, was bei einem solchen Mammut-Werk von mehr als zwei Stunden Dauer alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Die ungeheure Vitalität der Musik und der Abwechslungsreichtum, mit dem Haydn auch kleine Details wie beispielsweise die immer schneller werdende Jagd der Hunde oder die Orientierungslosigkeit eines umherirrenden Wanderers schildert, tragen dazu natürlich bei. Doch die interpretatorischen Anforderungen, um die Spannung über eine solche Dauer zu halten und die musikalischen Vorgaben umzusetzen, sind überhaupt nicht zu unterschätzen. Der Umstand, dass das Werk sowohl den rund 80 Sängerinnen und Sängern als auch den Profis vom Philharmonischen Orchester Hagen zuvor gänzlich unbekannt war, kam dem Dirigenten Paul Breidenstein da entgegen. Sein Oratorien-Chor präsentierte sich ohnehin in gewohnter Frische und Stimmgewalt und machte besonders die drei mächtigen Chor-Fugen zu einem klanglichen Ereignis. Doch auch die Hagener Musiker nahmen das vielschichtige und schwierige Werk nicht auf die leichte Schulter und waren konzentriert und hellwach bei der Sache. Breidenstein selbst führte die Aufführung sicher und bestimmt an und zeigte überdies souveräne Größe, als er nach anfänglichen Tempo-Schwierigkeiten in den ersten Takten einfach abbrach, um mit erhöhter Spannung nochmals zu starten. Zudem hatte er mit der Sopranistin Anneli Pfeiffer, Tenor Andreas Post sowie Bassist Dieter Goffing, der für den erkrankten Phillip Lanshaw kurzfristig einsprang und am Freitag erstmals einen Blick in die Partitur werfen konnte, glänzende Solisten an seiner Seite. Für die Chormitglieder hat sich die Probenarbeit des letzten Jahres gelohnt, und sie wurden mit einem für sie wohl unvergesslichen Erfolg belohnt.