Und vielleicht war es ja auch eine bewusste Verneigung des Chores und seines jetzigen Chorleiters Paul Breidenstein vor dem damals und heute noch äußerst beliebten Vollblutmusiker Reichmann, dem „Godfather“ der katholischen Kirchenmusik in Letmathe.
Breidenstein hat es seit 2002 großartig verstanden, den Chor weiterzuentwickeln und mit einem Repertoire zu konfrontieren, welches schon als äußerst mutig und außergewöhnlich zu bezeichnen ist und eine große innere Bereitschaft und Musikalität seitens der Chorsänger erfordert. Und dies zeichnet den Oratorienchor aus, dass er opernhafte Werke wie Verdis „Requiem“ oder eine Puccini-Messe ebenso engagiert einstudiert und präsentiert wie ein Poporatorium von Paul McCartney.
Allen Unkenrufen zum Trotz blieben die Zuhörer ihrem Chor treu, strömten nach wie vor in die Kirche und feierten stets stehend die jeweilige Aufführung. Doch nun zum „Messias“. Nach einer eindrücklichen, bewusst theologisch gehaltenen Begrüßung durch Peter Trotier eröffnete das Philharmonische Orchester Hagen mit der „Symphonie“ Händels berühmtestes geistliches Werk und hier deutete sich bereits an, dass Paul Breidenstein einen wunderbaren „Klangkörper“ verpflichtet hatte, der mit großer Geschlossenheit und viel Stilgefühl den speziellen Anforderungen der Barockmusik nichts schuldig blieb. Insbesondere der satte Streicherklang war von großer Wärme in Verbindung mit absoluter Präzision gekennzeichnet.
Es würde den Rahmen sprengen, jede dieser herrlichen Arien, Chöre und Instrumentalstücke zu würdigen. Aber es waren dann doch letztlich wieder die Chorstücke, die dem Werk besonderen Glanz verliehen und das Publikum im wahrsten Sinne „aufhorchen“ ließen .Und neben dem „Halleluja“ wurden natürlich „Denn es ist uns ein Kind geboren“, „Hoch tut euch auf“ und nicht zuletzt der Schlusschor „Würdig ist das Lamm“ echte Highlights. Der Oratorienchor bewies hier einmal mehr seine ganze Klasse: Die Fugenthemen wurden präzise herausgearbeitet, die Koloraturen perlten locker und entspannt und das Zusammenwirken mit dem Orchester klappte vorzüglich. Und insbesondere, wenn es um chorische Wucht und Strahlkraft ging, verschmolzen die Kiliankirche und der Oratorienchor zu einer speziellen Einheit, die an die Wurzeln des Chores als damaliger „Chor St. Kilian“ unter besagtem Gebhard Reichmann erinnerte.
Nicht unerwähnt bleiben sollen natürlich die Gesangssolisten, die ja mit ihren Rezitativen und Arien einen großen Teil des Werkes mittrugen. Während die Sopranistin Birgit Harnisch und die Altistin Satik Tumyan ihren Part solide lösten, so setzten dieses Mal aber die Herren die eigentlichen Glanzlichter auf.
Der Bassist Orlando Mason beeindruckte mit einem warm strömenden, sauber geführten Bass, welcher sich durch gute Textverständlichkeit auszeichnete. Tenor Michael Kurz brillierte mit einer wunderbar klaren, in den Höhen mühelosen und völlig unforcierten Stimme. Die schwierigsten Koloraturen meisterte er ebenso souverän wie die lyrischen Accompanato-Rezitative. Gerade hier erreichte er durch sein männlich-dramatisches Timbre eine große Eindringlichkeit.
Bleibt zum Schluss die Lobeshymne auf den Dirigenten Paul Breidenstein. Ohne große Gesten und Showeffekte verstand er es, mit klaren, aber unmissverständlichen Bewegungen Chor, Solisten und Orchester zusammenzuführen. Man merkte es immer wieder, dass hier ein Musiker am Pult stand, der ein Orchester zu führen und zu formen weiß. Auf Grund seiner Ausbildung und seinen Tätigkeit als Leiter des Musikschulorchesters Iserlohn hat er natürlich eine große Kompetenz und ein Klanggespür entwickelt, welche man als „normaler“ Chordirigent, der ein bis zwei Mal im Jahr vor einem zusammengewürfelten „Telefonorchester“ steht, nie erreichen kann.
Das Philharmonische Orchester Hagen reagierte dementsprechend verlässlich und sensibel auf jeden Wink und jedes Zeichen Breidensteins, so, als ob man wöchentlich zusammen proben würde. Und wenn dann noch ein Chor dazukommt, der seinem Dirigenten ebenso zuverlässig folgt, dann entstehen schon viele magische Momente.
Natürlich war am Ende lang anhaltender Applaus im Stehen Pflicht und man kann sich nur wünschen, dass es in Zukunft noch viele der besagten magischen Momente in der Kiliankirche geben wird. Denn letztlich ist sie ja doch das eigentliche „Wohnzimmer“ des Letmather Oratorienchores.